MARI

Sunday, September 14, 2008

Energie - heute und morgen, Teil 2: Ein Konzept für nachhaltigen Städtebau



Einleitung

Im ersten Teil von "Energie - heute und morgen" ging es um eine zugegeben etwas spezifische Einführung in die Energiepolitik am Beispiel der aktuellen Pläne zweier Parteien. Ich hoffe man hat einen Eindruck davon gewinnen können, wie abwegig in mittel- und langfristiger Sicht die Nutzung von Atomenergie ist, genauso im Hinblick auf die Sicherheit, wie auf die Finanzen. Auch die fossilen Energieträger gehen zur Neige und werden sicher nicht billiger. Sie bergen außenpolitische Risiken in Form von Konflikten um knapper werdende Ressourcen und stellen eine Gefahr für das Klima dar. Kurz gesagt: Die Wende muss her - je schneller desto besser!

Im folgenden Artikel richte ich mein Augenmerk dann vor allem auf das "morgen", indem ich meine eigenen Reflektionen zur Energiepolitik vorstelle und die nötigen Schlüsse in ein Konzept zum nachhaltigen Städtebau umsetze.
Die Lösung der Energieprobleme basiert für mich auf zwei Grundpfeilern: Erstens müssen neue Wege gefunden (oder bekannte Wege umgesetzt) werden auf regenerativer Basis mehr Energie zu produzieren. Zweitens - das vereinfacht erstens - muss der Energiebedarf gesenkt werden, bzw. muss sinnloser Energieverschwendung ein Ende gesetzt werden.
Das folgende Konzept entspricht meiner Wunschvorstellung von einer Stadt, die nicht nur weniger Energie verbraucht, sondern zugleich auch lebenswerter ist. Sie ist gegen die aktuelle Ideologie gerichtet, die das Auto in den Mittelpunkt stellt und in fast jeder planerischen Hinsicht begünstigt. Sie stellt eine alternative Möglichkeit dar, hohes Verkehrsaufkommen zu bewältigen und dabei den Energiebedarf zu minimieren.


1 Das Drei-Wege-Modell

Die Grundidee ist, dem Autoverkehr Grenzen zu setzen, wo es möglich und sinnvoll ist. Mein Modell bezieht sich auf eine für Deutschland durchschnittliche Großstadt zwischen 150.000 und 300.000 Einwohnern. Ich selbst habe mit Kassel, Mainz und Montpellier in drei Städten dieser Größenordnung gelebt. In Städten unterhalb dieser Einwohnerspanne gibt es selten so große Projekte des öffentlichen Nahverkehrs wie eine Straßenbahn, darüber gibt es oft schon so kostspielige Verkehrsmittel wie U-Bahnen.
Allgemein ist das Konzept aber auf Städte jeder Größenordnung anzuwenden. Diesen Aspekt halte ich für besonders wichtig, zumal in den Ländern des Nordens bereits heute bis zu 80% der Bevölkerung in Städten lebt und das Städtewachstum in den Ländern des Südens höher ist denn je. Die Stadt bietet aufgrund ihrer Konzentration relativ kurze Wege und damit gute Möglichkeiten für einen öffentlichen Verkehr.
Schwierig wird eine Umsetzung nur für den Bereich des ländlichen Raumes, wo der Großteil der Bevölkerung heute auf das Auto praktisch angewiesen ist und die finanzielle Grundlage für öffentlichen Verkehr oft schlechter aussieht als in Städten (doch auch die finanzielle Frage scheitert eher an der Ideologie, als am Potential des ländlichen Raumes).
Es ist wohl schon deutlich angeklungen, dass der öffentliche Nahverkehr eine entscheidende Rolle in meinem Konzept spielt. Generell finde ich das Nahverkehrsnetz in deutschen Städten schon jetzt nicht schlecht, dennoch in vielerlei Hinsicht verbesserungswürdig.
Die größten Veränderungen muss es bei den individuellen Verkehrsmitteln, dem Autoverkehr und dem Radverkehr geben. Daraus ergibt sich ein Drei-Wege-Modell (Abb. 1). Es soll eine idealisierte Vorstellung von meinem Konzept der nachhaltigen Stadt vermitteln. Die wesentlichen Veränderungen betreffen die Einschränkung des Autoverkehrs und den Ausbau des Radwegenetzes.



Abb. 1: Das Drei-Wege-Modell basiert auf einer sich parallel wiederholenden Abfolge von Straßenbahn, Fahrradstraße und Kraftfahrzeugstraße (Quelle: Eigene Bearbeitung).


Durch eine Dreiteilung des Verkehrs wird die Stadt ausgeglichener und lebenswerter - jedes Verkehrsmittel hat seine eigene Spur, die auf seine Bedürfnisse zugeschitten ist. Eine Straßenbahn ist ein zukunftsfähiges und sauberes, weil theoretisch emissionsloses Verkehrsmittel (praktisch hängt dies natürlich von dem verwendeten Energieträger ab).
Das Konzept der Fahrradstraßen erfordert die Sperrung der Straßen für den motorisierten Verkehr. Gerade für viele Autofahrer mag es eine seltsame Vorstellung sein, sich in einer Stadt nicht frei bewegen zu können. Schlimmer noch: Viele werden sich wahrscheinlich ihrer Freiheitsrechte beraubt sehen. Doch hier befinden wir uns schon mitten in einer ideologischen Diskussion, die ich mir im folgenden Abschnitt zum Thema genommen habe.


2 Das Automobil als Ideologie


Ich persönlich habe nie ein Auto besessen und habe immer den öffentlichen Verkehr und das Fahrrad genutzt. Als Fahrradfahrer habe ich mich schon oft in meiner Freiheit eingechränkt gefühlt, wenn ich an einer roten Ampel mit stinkenden Autos in die Warteschlange gedrängt wurde. Als Radfahrer unter Autos fühlt man sich ohnehin wie eine Maus, deren Weg unter Elefantenbeinen hindurchführt. Auch ein Fahrradhelm ist oft kein ausreichender Schutz. Selbst wo es Fahrradwege gibt, sind diese häufig so schmal, dass man nicht einmal zu zweit nebeneinander fahren kann.

Auch der Gegenverkehr auf Radwegen ist eine Gefahrenquelle: gerade an großen Straßen und im Innenstadtbereich, kann man als Radfahrer nicht immer auf der nach der Verkehrsordnung korrekten Richtung fahren, denn vielspurige Fahrbahnen mit Ampeln für jede Fahrtrichtung sind oft lästige Hindernisse. Kommen sich dann zwei Radfahrer entgegen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der Radfahrer, der in die nach der Beschilderung korrekte Richtung fährt, bleibt auf der Spur. In dem Fall bleibt er aber auf der linken Seite und sein Gegenüber fährt rechts (auf dem Bürgersteig) an ihm vorbei, was dem allgemeinen Rechtsfahrgebot und der Gewohnheit widerspricht.
Hält man das Rechtsfahrgebot ein, muss der Radfahrer, der in die korrekte Richtung fährt auf den Bürgersteig ausweichen, um den anderen links an ihm vorbeifahren zu lassen. So oder so sind Zusammenstöße der Radfahrer durch die Uneinigkeit über die Fahrspur oder mit Fußgängern nicht auszuschließen. Man kann dem Radfahrer, der in die Richtung entgegen der Verkehrsordnung fährt aus folgendem Grund keinen Vorwurf machen: Er kann nichts dafür, dass unsere Straßen für den Autoverkehr konfiguriert sind und alternative Fortbewegungsmittel rücksichtslos behandelt und auf schmale Seitenstreifen verdrängt werden.

Autos nehmen einen enormen Stellenwert bezüglich des Flächenverbrauchs in einer Stadt ein: Man braucht nicht nur Platz für den aktiven Verkehr, sondern mindestens genauso viel für den ruhenden. Parkplätze machen riesige Flächen der Stadt aus. Da Autoverkehr individuell ist, muss im Idealfall jederzeit an jedem Ort ein Parkplatz zur Verfügung stehen.
Städte kommen diesem Bedürfnis zum Beispiel mit Parkhäusern oder, um Flächen zu sparen, mit kostspieligen Tiefgaragen nach. Ein Discount- oder Supermarkt, wie Aldi, Lidl oder Rewe beispielsweise, verbraucht eine Fläche, von der Parkplätze grob geschätzt die Hälfte bis zwei Drittel ausmachen; ähnliches gilt für große Einkaufszentren am Rande von Großstädten, wie zum Beispiel das DEZ in Kassel (Abb.2) und das Carrefour im Norden von Montpellier (Abb. 3).
Sie sind den Bedürfnissen des Autofahrers bestens angepasst: Das Carrefour ist ein Extrembeispiel, da es faktisch nur mit dem Auto zu erreichen ist. An der immerhin vierspurigen Landesstraße D986 gelegen (im Bild links), weist die einzige Zufahrt noch nicht einmal einen Bürgersteig am Seitenrand auf. Für Fußgänger ist das Einkaufszentrum, will man nicht über Feld und Flur laufen, somit überhaupt nicht zu erreichen, obwohl es eigentlich sogar eine Bushaltestelle in ca. 500m Entfernung gibt. Fahrradfahrer sind der Gefahr einer vielbefahrenen Straße ohne jede Ausweichmöglichkeit ausgesetzt - städtebaulich eine wahre Glanzleistung!

Abb. 2 und 3: Links das DEZ in Kassel, rechts das Carrefour im Norden von Montpellier (Quellen: Google Earth).

Auch als Fußgänger ist man oft, besonders in Frankreich, auf schmale Gehwege gezwängt und ist dem Lärm und den Abgasen der Autos ausgesetzt. Die Feinstaubemissionen von Dieselmotoren sind eine ernste Gefahr für die Gesundheit. Zwischen 400 und 800€ kostet bei einem Neuwagen der Einbau eines Rußpartikelfilters - wenn man den Gesamtpreis eines Neuwagens betrachtet eigentlich ein lächerlicher Anteil. Dennoch ist der Einbau des nicht nur lebensrettenden, sondern langfristig auch die Gesundheitskassen entlastenden Geräts keine gesetzliche Pflicht. Autoverkäufer haben nach wie vor die Wahl: Die eigene Gesundheit und die anderer (besonders Fußgänger und Radfahrer, die ohne schützende Hülle dem Verkehr ausgesetzt sind) zu schädigen oder einen kleinen aber effektiven Beitrag, eigentlich ja die mindeste Pflicht, zur allgemeinen Gesundheit zu leisten. Vielen Dank für die Entscheidungsfreiheit, die den Autokäufern gewährt wird!

Sicherlich, Autofahren bedeutet Freiheit, Mobilität und wenn das Verkehrsaufkommen es erlaubt auch Schnelligkeit (praktisch ist das in der Stadt jedoch nicht der Fall; dazu ein späterer Abschnitt) - das alles gilt aber nur für den Autofahrer selbst. Denn die Freiheit, Mobilität und Schnelligkeit von Radfahrern wie auch dem öffentlichen Verkehr wird eingeschränkt. Hinter dem Autofahren steht eine Ideologie, die sich in Deutschland erstmals in den 1950er Jahren mit der Gestaltung der autogerechten Stadt in die Struktur der Stadtlandschaft einschrieb. Le Monde diplomatique leitet seinen etwas knappen, aber durchaus lesenswerten Artikel "Von der autogerechten zur autofreien Stadt" wie folgt ein:

"Bis in die 1970er-Jahre hinein orientierten sich Stadtplaner und Verkehrsplaner am Leitbild der "autogerechten Stadt". Ohne Rücksicht auf ökologische Auswirkungen und gesundheitliche Folgen für die Anwohner wurde der innerstädtische Verkehr den Bedürfnissen des motorisierten Individualverkehrs untergeordnet." (Le Monde diplomatique 2007: S. 76)

Wenn man das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) einmal unter die Lupe nimmt, wird diese Ideologie sehr deutlich. Da liest man die Schlagzeile "In Zukunft leben - Verkehr" und wird neugierig: Wie sieht das Zukunftskonzept unserer Bundesregierung wohl aus?
Wenige Zeilen weiter dann die Aussage: "[...] der umweltgerechte Ausbau der Infrastruktur ist möglich. Wachstum, Lebensqualität und Klimaschutz müssen sich nicht ausschließen." Soweit so gut. An Text ist das auch schon fast alles, was der Erläuterung dient.
Sieht man sich aber die auf der selben Seite verlinkten Videoclips an wird schnell klar: Die Förderung und Forschung dient ausschließlich dem Autoverkehr. Es geht da um "Fahrerassistenzsysteme", "eSafety: Intelligente Verkehrssysteme" und "Verkehrsinformationen in Echtzeit" und schließlich "Interaktion zwischen Mensch und Maschine" (hier der Beweis).
Diese Videoclips handeln ausschließlich von der Sicherheit im Autoverkehr, sowie von der Vermeidung von Staus auf Autobahnen. Nicht eine Szene handelt tatsächlich von Klimaschutz; nicht ein anderes Verkehrsmittel wird überhaupt erwähnt. Nun weiß man, was die Bundesregierung für die Zukunft plant. Auf heuchlerische Hinweise zum Klimaschutz könnte sie jedenfalls verzichten.

Leider ist das Leben mit dem Auto (oft auch dann, wenn man selbst keines besitzt) für die meisten Menschen zur Routine geworden. Wie sehr das Auto unser Leben bestimmt, nehmen Viele gar nicht mehr wahr.
Ein kleines Beispiel: Ein Seiteneingang zur Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, den ich täglich benutzt habe, wird durch eine Sperrvorrichtung vor dem Autoverkehr geschützt (Abb. 4). Zwei quergestellte Geländer engen den Weg ein, so dass kein Auto mehr vorbeikommt.
Was löblich klingt, macht aber auch das Passieren für Fahrradfahrer und Fußgänger schwieriger. Autos können ohnehin auf anderem Wege auf den Campus gelangen. Die Dominanz, die das Auto in unserem Alltag einnimmt, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass Fahrradfahrer und Fußgänger in diesem Beispiel nur deshalb behindert werden, weil angenommen wird oder werden muss, dass Autofahrer nicht diszipliniert genug sind und ein einfaches Verbotsschild oder eine aufgemalte Markierung missachten würden. Eine solche Absperrung kostet schließlich auch Geld. Auch wenn diese Absperrung dem Schutze des Campus-Geländes vor Autofahrern dient, fällt an diesem einfachen Beispiel auf, wie sehr der Autoverkehr unseren Alltag einschränkt: Er behindert andere Verkehrsteilnehmer und macht damit den Verbrauch von Steuergeldern erforderlich.
In diesem Fall könnte man meiner Einschätzung nach die Absperrung durchaus einfach entfernen. Soviel Verstand traue ich den Autofahrern schon noch zu, dass sie anschließend nicht sofort in den Campus einfallen und kollektiv die Verkehrsordnung missachten würden.

Abb. 4: Sperrvorrichtung gegen Autos an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Ein anderes Beispiel dieser Art sind übrigens Bremshügel zur Verkehrsberuhigung. Man sollte sich vergegenwärtigen, dass diese ja nur gebaut werden müssen, weil Autofahrer ohne diese Vorrichtungen zu rücksichtslos fahren und Geschwindigkeitsbegrenzungen missachten würden. Doch auch diese kosten Geld und sind letztlich ein (geplantes) Hindernis. Ich bin nicht der Meinung, dass diese Bremshügel ohne weiteres abgeschafft werden sollten, aber sie sind bezeichnend für die Gefahr und die Einschränkung für andere Verkehrsteilnehmer, die vom Autoverkehr ausgeht, sowie den Aufwand an Steuergeldern, der aufgrund dessen nötig ist.

Ein Vorurteil ist, dass das Auto schneller sei. Viele Menschen gehen wahrscheinlich von 30-50km/h aus, wie es den gängigen Geschwindigkeitsbegrenzungen entspricht, missachten dabei aber die ständigen Stopps an Kreuzungen und Ampeln. Im Stadtgebiet reduziert sich die Durchschnittsgeschwindigkeit auch ohne Staus auf ca. 20km/h.
Das Fahrrad kann da mithalten. Le monde diplomatique nennt eine Geschwindigkeit von etwa 15km/h in Kopenhagen. Natürlich ist die Durchschnittsgeschwindigkeit beim Fahrrad je nach Person und Alter unterschiedlich, aber bewegt sich nichtsdestotrotz in einem Bereich von nur unwesentlich langsamer als das Auto, bis genauso schnell. Man muss berücksichtigen, dass sich die Geschwindigkeit von Radfahrern noch erhöhen wird, wenn sich die infrastrukturellen Bedingungen für sie ändern. Das, was heute als Fahrradwege bezeichnet wird, ist oft mehr hinderlich als förderlich. Radrennfahrer nutzen deshalb, selbst wenn es einen Radweg gibt, häufig die Straße.
Auf Langstrecken (außerhalb der Stadt) ist die Bahn deutlich effizienter als das Auto; diese machen aber auch nur einen Bruchteil der Fahrten aus.
Einen Vergleich zwischen Auto und Fahrrad von Bernhard Glatthaar hat Erich Kimmich auf seiner Homepage in bester Kürze veröffentlicht (hier).

Der Zukunftsforscher Eike Wenzel äußert sich in einem Artikel der Mainzer Allgemeine (Abb. 5) zur "Routinisierung" der Menschen, die der Hauptgrund dafür sei, dass der Autoverkehr in Zukunft beherrschend bleibe.
Doch so unklar wie die Zukunft ist, so viele Ungereimtheiten bleiben nach der Lektüre dieses Artikels zurück: Zwar bleibe der Autoverkehr durch die hochgradige Routinisierung beherrschend, dennoch sehen die Forscher gerade im ländlichen Raum "die Bedeutung des Fahrrads für die Mobilität des Einzelnen weiter steigen". Einerseits wird ein überdurchschnittliches Wachstum im Flugverkehr prophezeit, andererseits würden wir die fossile Mobilität bis 2030 weitgehend hinter uns gelassen haben. Eindeutig seien nach Angaben der Mobilitätsforscher drei Entwicklungen:

1. Der Verkehr wird weiter wachsen, wenn auch nicht mehr mit so hohen Steigerungsraten.
2. Die individuellen menschlichen Mobilitätsgewohnheiten ändern sich kaum.
3. Mobilität wird teurer werden.

Zudem seien die Steuerungschancen des Staates aufgrund der globalen Vernetzung, aber auch der Mobilitätsgewohnheiten seiner Bürger begrenzt. Als dennoch stärkstes Instrument sieht der Verkehrsforscher Martin Lanzendorf die Preise an, welche nicht nur öknomisch bedingt, sondern auch durch politische Steuerung, weiter steigen werden.

Insgesamt hinterlässt der Artikel ein unzureichendes Bild von den zukünftigen Entwicklungen. Bei den oben genannten drei Entwicklungen ist meiner Menung nach eine Relativierung erforderlich.
Sicherlich ändern sich die menschlichen Mobilitätsgewohnheiten kaum in folgendem Sinne: Der Mensch wird immer faul und gemütlich bleiben, was ja im Grunde eine sinnvolle und erfolgreiche Überlebensstrategie der Evolution ist - letztlich nichts anderes als Energiesparen. Doch in Zeiten wo Menschen gemütlich mit dem Auto ins Fitnessstudio fahren, überschreitet der Mensch in paradoxer Art und Weise die Grenze der sinnvollen Gemütlichkeit. Natürlich mag es niemand bei strömendem Regen auf dem Fahrrad zu sitzen oder zu Fuß zur Bushaltestelle zu gehen. Am besten betritt man sein Auto direkt von der Garage aus, legt seine neueste CD ein und fühlt sich wohlig-warm und geschützt vor der Außenwelt.
ABER, wenn man das menschliche Wesen nur schwer von Grund auf ändern kann, dann muss man zumindest unsere Umgebung so gestalten, dass sie ebenso unserer Faulheit gerecht wird, wie dem Schutz der Umwelt.
Warum muss man denn Gewerbegebiete (in denen übrigens häufig auch Fitnessstudios ansässig sind) fast ausschließlich dem Automobilverkehr zugänglich machen? Dahinter steckt eine Ideologie: Der Funktionalismus im Städtebau, welcher unterteilt in Wohn-, Gewerbe und Industriegebiete, kam erst mit dem Automobil auf. Zwischen jeder alltäglichen Daseinsgrundfunktion - wohnen, arbeiten, sich versorgen, sich bilden, sich erholen - lag und liegt nach diesem Konzept eine Autofahrt.
Wenn wir unsere Umwelt so gestalten, dass sie nur mit dem Auto gemütlich zugänglich ist, dann ist es kein Wunder, dass es den Leuten zur Gewohnheit wird mit dem Auto zu fahren. Trotzdem geht es auch anders.
Ich selbst habe nur ein Fahrrad und ich fahre auch mal bei strömendem Regen durch die Straßen und stellen Sie sich vor - ich lebe! Wenn meine eigenen Mobilitätsgewohnheiten - oder allgemeiner: diejenigen der Minderheit von Radfahrern - schon jetzt weitgehend losgelöst von motorisiertem Verkehr sind, wie leicht mag es der Mehrheit dann in einer modifizierten, auf den Radverkehr und ÖPNV zugeschnittenen Umwelt fallen, ihre Mobilitätsgewohnheiten zu ändern! Wenn sich an den Umständen etwas ändert, werden sich die Gewohnheiten genauso ändern können.
Die beiden anderen genannten zukünftigen Entwicklungen, das weitere Wachstum des Verkehrs und die steigenden Preise, steuern der Entwicklung, die mir vorschwebt, nur bei: Wir müssen den Automobilverkehr einschränken.
Eine Ideologie - das sollte man sich vergegenwärtigen - ist nicht unumkehrbar. Je teurer Autofahren wird (durch steigende Rohstoffpreise), desto weniger Menschen werden Autofahren können, desto mehr Menschen werden wiederum eingeschränkt, wenn sich an der herrschenden Ideologie nichts ändert. Diese Entwicklung sieht Wenzel in der AZ schon voraus, indem er vom Mobilitäts-Prekarier spricht, jene 35 Prozent der Gesellschaft, für die Mobilität nur noch zum eingeschränkt verfügbaren Luxus wird.


Abb. 5: Zeitungsartikel der Mainzer Allgemeinen Zeitung vom 19.09.08 zum Verkehr der Zukunft.

Abb. 6: Interview mit Verkehrsminister Tiefensee in der Frankfurter Rundschau vom 18.09.08.

Die Politik ist längst noch nicht auf dem Weg den Autoverkehr einzuschränken, wie nicht nur das Beispiel des BMVBS zeigt. In einem Interview in der Frankfurter Rundschau vom 18.09.08 äußert sich Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) über die Mobilität der Zukunft (Abb. 6). Auch bei ihm bleibt wie schon beim BMVBS der tatsächliche Anspruch, grundlegend etwas zu ändern, hinter verbalen Bekundungen zum Klimaschutz zurück. Man kann Tiefensee nicht mangelnde Überzeugung vorwerfen, dennoch wagt er es nicht, wirkliche Veränderungen am gängigen Verkehrssystem vorzunehmen.
Tiefensee bekennt sich eindeutig zum Radverkehr und steht innerstädtischen Kurzstrecken mit dem Auto von unter fünf Kilometern kritisch gegenüber. Dafür hat er nur dann Verständnis "wenn der Weg mit dem Fahrrad umständlich oder unsicher ist, oder Unterstellmöglichkeiten am Arbeitsplatz nicht gegeben sind."
Umso wichtiger, das ist für mich die logische Schlussfolgerung, ist es also die Umgebung radgerecht umzugestalten. Für den Radverkehr, einschließlich Bau und Erhalt der Radwege, sowie Öffentlichkeitsarbeit, stellt der Bund nach Tiefensee jährlich 100 Millionen Euro zur Verfügung. Das macht also 1 Euro und ein paar zerquetschte auf jeden Bundesbürger pro Jahr - nicht viel.
In einer weiteren Frage bringt die Rundschau die von einigen Verkehrsforschern geforderte Null-Emissions-Mobilität ins Gespräch, für die in Städten komplette Autospuren für den Radverkehr und Solarmobile reserviert werden sollen, was ja in ähnlicher Form auch für mein Drei-Wege-Modell nötig wäre. Auf die Frage ob er sich damit anfreunden könne, antwortet Tiefensee teils wegweisend, teils ausweichend.
Ziel sei es definitiv die CO2-Bilanz zu verbessern, indem zum Beispiel das Einkaufen und die Freizeit in den Stadtteil zurückverlagert werden und so Verkehr vermieden werden kann - eine Einstellung, die also gegen den Funktionalismus gerichtet ist.
Auf die Frage, ob man komplette Autospuren für Radverkehr und Solarmobile reservieren solle, antwortet er aber nicht direkt. Seine Einstellung wird erst nach der nächsten Frage deutlich, in der die Rundschau nachhakt, ob man den Radverkehr konsequent vom Autoverkehr trennen müsse. Dies hält er nicht für möglich, da man die Städte ja nicht vom Reißbrett konzipieren könne. Stattdessen müssten Straßen so ausgebaut werden, dass sie für alle Verkehrteilnehmer sicher nutzbar seien. Sogenannte "Shared-Space Zonen" würden einen rücksichtsvollen Umgang miteinander fördern, für Sicherheit sorgen und dabei niemanden benachteiligen.
So lobenswert ein "rücksichtsvoller Umgang" auch sein mag, was ist allen ernstes so schwer daran Straßen für den Autoverkehr zu sperren? Wir brauchen dafür keine neuen Städte "vom Reißbrett". Wir müssen lediglich die Straße sperren, also irgendwie eine Abgrenzung gegen den Autoverkehr markieren: Straßenschilder, farbliche Markierungen. Das ist vom Aufwand her überhaupt nicht schwierig! Es ist lediglich eine Frage der Überzeugung.
Die jährliche Fördermenge von 100 Millionen Euro für den Radverkehr unterstreicht zusätzlich die Überzeugung der Bundesregierung. Trotz Bekundungen zum Klimaschutz, wird der Radverkehr in Deutschland nach wie vor vernachlässigt, wenn nicht sogar diskriminiert (stammt vom lateinischen discriminare = trennen, absondern, unterscheiden).
Trennen und absondern möchte ich in meinem Konzept auch, aber auf eine würdige Art und Weise für Radverkehr und ÖPNV: Das Drei-Wege-Modell ist notwendig, weil ich den massenhaften Radverkehr praktisch nur für durchsetzbar und lebensfähig halte, wenn die infrastrukturellen Voraussetzungen dafür bestehen. Wie ich mir eine solche Stadt praktisch vorstelle, dazu möchte ich nun kommen.


3 Die nachhaltige Stadt: Das Drei-Wege-Modell in praktischer Anwendung


Natürlich ist ein Modell immer eine Abstraktion und eine Idealisierung der Wirklichkeit. Mein Drei-Wege-Modell ist deshalb in der Stadtplanung auch nicht auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Vielmehr muss es immer an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden. Die Vereinfachung des Modells stellt somit lediglich eine Richtlinie dar.
Mir ist natürlich auch klar, dass man eine Stadt heutzutage nicht mehr, wie Herr Tiefensee es formuliert, vom "Reißbrett" planen kann. Dennoch schien es mir sinnvoll ein Stadtschema anzufertigen, dass die Idee meiner Stadt in idealisierter Form verdeutlicht (Abb. 7).
Die einzige Eigenschaft dieses Stadtschemas, die in der Realität wirklich nur schwer zu verändern ist, stellt die Turbinenform dar. Ich habe sie gewählt, weil sie einen Mittelweg zwischen städtischer Konzentration der Bebauung und Integration von naturnahen Flächen (in der Darstellung weiß) darstellt. Diese naturnahen Flächen, die ebenso randstädtischer Agrarkultur wie auch Freizeit und Erholung dienen können, reichen durch die Turbinenform sehr nah an das Stadtzentrum heran. Anders gesagt: Die Bewohner des dichten Zentrums haben es nicht sehr weit ins Grüne. Zusätzlich werden diese Flächen durch die Endhaltestellen des Straßenbahnnetzes angebunden und sind leicht auf Fahrrad- und Fußgängerstraßen zu erreichen. Zur Definition von Fahrradstraßen und Fußgängerstraßen wird noch ein Abschnitt folgen.
Weitgehend parallel laufen die drei Verkehrsmöglichkeiten zum Zentrum hin. Diese Struktur findet man in heutigen Städten bereits sehr deutlich in Form des Sternverkehrs im ÖPNV, sowie in Form Hauptstraßen, die auf das Zentrum ausgerichtet sind.
Diese Trennung muss nicht immer so streng gehandhabt werden. Neben der Straßenbahnspur sollte in der Regel ein Fahrradweg Platz finden. Auch Fahrradwege neben Straßen für motorisierten Verkehr sind nicht gänzlich abzulehnen, auch wenn sie dank der Fahrradstraßen (eine Definition folgt) nicht mehr so notwendig sein werden, wie heutzutage, wo der Radverkehr oft nicht mehr als ein Anhängsel zum Autoverkehr ist.
Der Autoverkehr ist hier nur durch jeweils eine Hauptstraße pro Stadtabschnitt dargestellt, die sich als Ring bündeln und um das Zentrum schließen. Diese Einschränkung des Autoverkehrs mag radikal erscheinen und ist in der Realität nur dann durchsetzbar, wenn das Konzept als ganzes aufgeht. Autoverkehr würde dann vor allem dem Fernverkehr dienen und nicht, um beispielsweise zur Arbeitsstelle zu gelangen. In der praktischen Umsetzung sind zunächst deutlich mehr Hauptstraßen des motorisierten Verkehrs zu bewahren, denn selbstverständlich kann eine solche Umstellung nicht von heute auf morgen passieren, was wiederum nicht heißt, dass man nicht morgen damit anfangen kann umzustellen.


Abb. 7: Stadtschema und Lokalverkehr der nachhaltigen Stadt in Turbinenform (Quelle: Eigene Bearbeitung).

Was hat man sich eigentlich genau unter den Fahrradstraßen vorzustellen? Auf Fahrradstraßen ist motorisierter Verkehr generell untersagt. Eine Ausnahme bildet der Notfallverkehr (Ambulanz, Feuerwehr, Polizei), für den nach Möglichkeit eine Spur freigehalten werden sollte. Das dürfte gerade bei Straßen mit ehemals zweispurigem Autoverkehr kein Problem sein. Lieferverkehr, Anliegerverkehr (Umzüge, etc.) und Entsorgung sollten etwa zu bestimmten Uhrzeiten auch erlaubt sein.
Im Alltag dienen Fahrradstraßen aber ausschließlich dem nicht-motorisierten Verkehr. Dies muss deshalb betont werden, weil es Fahrradstraßen dem Namen nach schon gibt, zum Beispiel in Karlsruhe. Was sich innovativ anhört, ist in der Praxis heute aber nicht mehr als eine Straße mit Geschwindigkeitsbegrenzung. Als ich in Karlsruhe (mit dem Fahrrad) durch eine solche Straße durchgefahren bin, waren hinter mir Autos, vor mir Autos und am Seitenstreifen haben Autos geparkt.
Auf den Fahrradstraßen meiner nachhaltigen Stadt sieht das anders aus: Wo heute Autospuren sind gibt es dann Streifen für unterschiedliche Geschwindigkeiten (bei Geschwindigkeiten ab 20km/h würde man beispielsweise die innere Fahrspur benutzen). So fühlen sich gemütlichere Fahrradfahrer nicht bedroht von jenen, die mit maximaler Geschwindigkeit fahren wollen.
Frei sind die Straßen auch für Rikschafahrer (z.B. zum Personentransport und von Einkäufen). Gerade ältere Menschen, die nicht mehr Fahrrad fahren können oder wollen, sollten diesen Dienst in Anspruch nehmen. Durch den Rikschatransport hat man nicht nur ein emissionsloses öffentliches Verkehrsmittel gewonnen, sondern schafft auch Arbeitsplätze im niedrigqualifizierten Sektor. Dies ist insofern von Bedeutung als heutzutage durch Mechanisierung so viele Stellen in diesem Sektor verloren gehen, was immer mehr zur Verarmung und Marginalisierung eines Teils der Bevölkerung und damit zu städtischen Unruhen führt. Eine Form dieser Marginalisierung ist vielleicht auch das, was Eike Wenzel als Mobilitäts-Prekarier kommen sieht. Ein Fall der aber nur dann Eintritt, wenn man keine innovativen Verkehrsformen anbietet.
Ein in der Höhe abgesetzter Bordstein für Fußgänger ist nicht mehr nötig, da von den Fahrradfahrern eine geringere Gefahr ausgeht und sich die Spur für hohe Geschwindgkeiten in der Mitte befindet. Der äußere Rand des Fahrbereichs ist vom Fußgängerbereich nur durch ein Rillensystem abgegrenzt, an dem sich Blinde orientieren können. Auch Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer sind keinen unnötigen Hindernissen mehr ausgesetzt. Insgesamt wird die Stadt dadurch weitgehend barrierefrei.
Natürlich werden Kritiker sagen, dass es viel zu teuer ist alle Wege neuzubauen, Rillensysteme einzuführen und den Bordstein zu entfernen. Und eben das verlange ich für den Anfang auch gar nicht. Die obige Darstellung ist nur die Ideal- bzw. die Endform. In der Praxis wird man damit anfangen müssen Straßen für den Autoverkehr zu sperren. Damit hat man den Weg zwar noch längst nicht barrierefrei, aber die Straße steht ganz einfach dem Radverkehr zur Verfügung, was ja das Hauptanliegen ist. Blinde haben insofern schon etwas gewonnen, als eine Straßenüberquerung ohne motorisierten Verkehr schon deutlich sicherer ist.
Als Fußgängerstraßen bezeichne ich kleinere Straßen, die ehemals auch für den Autoverkehr freigegeben waren. Sie sind von nun an Fußgänger- und Fahrradzone (letztere mit rücksichtsvoller Geschwindigkeit); auch sie sind nur in oben angegebenen Sonderfällen motorisiert erschließbar.
Insgesamt stelle ich mir ein Netz von ÖPNV, Fahrradstraßen und Autostraßen vor, das es ermöglicht jeden dieser Bereiche von der Wohnung aus in nicht mehr als etwa 200m Entfernung zu erreichen. Autofahrer sind, sofern sie nicht direkt an einer Autostraße wohnen, durchaus gezwungen etwa 200m zu ihrem Parkplatz zu laufen - ein Weg den man in Kauf nehmen kann, da man das Auto im Idealfall nicht täglich benötigt. Zur Arbeitsstelle gelangt man bequem und deutlich einfacher als heute mit ÖPNV oder Fahrrad. Der heute weit verbreitete Pendelverkehr wird auf diese Weise sicherlich eingegrenzt, zumindest was den Pendelverkehr per Auto betrifft. Auf der anderen Seite wird das Pendeln mit dem ÖPNV leichter und mit Konzepten wie der Regiotram auch vom Umland aus. Niemand im städtischen Umland wird mehr das Argument haben, auf das Auto angewiesen zu sein. Eine Pendlerpauschale, die das Autofahren fördert, wird nicht mehr erforderlich sein.

Am Beispiel des Viertels Hôpitaux-Facultés von Montpellier, wo ich in diesem und letzten Jahr gelebt habe, möchte ich das Konzept praktisch darstellen. Montpellier ist eine junge aufstrebende Stadt in der sich viel tut, viel aber auch deshalb, weil sich in der Vergangenheit wenig getan hat.
Die erste Straßenbahnlinie wurde im Jahr 2000 eröffnet, die zweite folgte dann 2005. Bis 2012 soll noch eine dritte Linie gebaut werden. Für den Bau der Straßenbahnlinien wurde der Autoverkehr auf einigen Streckenabschnitten komplett lahmgelegt. Bewusst wurden sozial benachteiligte Viertel, wie Mosson im Nordwesten, das hauptsächlich von Migranten bewohnt ist, an das Zentrum angeschlossen.
Mit der zukünftigen Linie 3 sollen zum Beispiel die großen Einkaufskomplexe im Süden der Stadt und die Strände von Palavas angebunden werden. Die Kosten für das Projekt betragen 450 Millionen Euro (davon die Agglomeration 250, das département Hérault 50 und der französische Staat 100; Quelle: TaM). Im Anbetracht dieser Zahlen relativiert sich das Engagement der Bundesregierung mit 100 Millionen Euro (wenn auch jährlich) für den Radverkehr in ganz Deutschland doch stark. In Montpellier scheint jeden falls kein Euro zuviel investiert zu sein. Gerade die Linie 1 ist stark frequentiert und würde zu den Stoßzeiten Entlastung benötigen.
Doch zurück zu meinem ehemaligen Wohnviertel durch das ebenfalls die Linie 1 führt. In Abb. 8 habe ich eine Darstellung der heutigen Verkehrsmöglichkeiten angefertigt. Die blaue Linie zeigt die Straßenbahnlinie 1 mit den beiden Haltestellen (gelb) "Hôpital Lapeyronie" links oben und "Universités des Sciences et des Lettres" unten. Entlang der Straßenbahn führt ein herkömmlicher Fahrradweg (grün), der obwohl neu gebaut sehr schmal ist und mit Bäumen zum Teil gefährliche Hindernisse aufweist. Abgesehen davon, gibt es im Viertel ausschließlich Straßen für den motorisierten Verkehr (orange).


Abb. 8: Montpellier, Viertel "Hôpitaux-Facultés": die heutige Verkehrssituation (Quelle: Google Earth und eigene Bearbeitung ).

Wenn ich mein Drei-Wege-Modell in diesem Viertel praktisch umsetzen sollte, bzw. dürfte, würde ich wie folgt vorgehen (Abb. 9): Um die stark frequentierte geisteswissenschaftliche (auf der rechten Seite nicht mehr ganz im Bild) und naturwissenschaftliche Fakultät ("Université des Sciences") besser ins Stadtnetz zu integrieren, wird noch eine weitere Straßenbahnlinie mit entsprechenden Haltestellen gebaut, die an der Haltestelle unten auch an die Linie 1 anschließt. Als Straßen für den motorisierten Verkehr werden lediglich zwei in Richtung Zentrum verlaufende Parallelen belassen, die aber zweispurig sind.
Die ansässigen Krankenhäuser (Montpellier ist für seine medizinische Fakultät schon seit dem Mittelalter bekannt), zwei davon links im Bild, sind weiterhin an den Autoverkehr angebunden und können Notfalldienste in gewohnter Geschwindigkeit ausführen. Auch das dritte Krankenhaus unten in der Mitte ist durch die großzügige Fahrradstraße mit Fahrspur für den Notfallverkehr bestens an das Straßennetz angebunden.
Die Wohnviertel in der Bildmitte und die Studentenwohnheime ("Cité U") sind ebenfalls durch Fahrradstraßen mit der Uni und dem Zentrum (außerhalb des Bildes unten) verbunden. Die kleineren Straßen werden zu Fußgängerstraßen, was praktisch aber nur einen geringen Unterschied zu den Fahrradstraßen macht.
Einerseits wird also der ÖPNV um eine weitere Straßenbahnlinie verstärkt und die Situation des Radverkehrs drastisch verbessert, andererseits wird der Autoverkehr ebenso drastisch eingeschränkt.


Abb. 9: Montpellier, Viertel "Hôpitaux-Facultés": die mögliche Verkehrssituation nach dem Drei-Wege-Modell (Quelle: Google Earth und eigene Bearbeitung).

Diese Entwicklung sollte sicher nur Schrittweise vorangetrieben werden. Die Fahrradstraße, die diagonal von oben links nach unten rechts führt, können wir "heute" schon bauen. Dafür brauchen wir nicht mehr zu tun, als die Straße für den Autoverkehr zu sperren und dies in der Beschilderung deutlich kenntlich zu machen.
Damit erleichtern wir vor allem vielen Studenten den Weg zur Universität und erleichtern den Zugang zum Zentrum. Alleine durch diese Maßnahme werden schon einige Menschen das Fahrrad vorziehen oder es zumindest häufiger benutzen. Autofahrer sind nun gezwungen auf die übrigen Straßen auszuweichen, was sie aber zu dem Zeitpunkt noch nicht wesentlich einschränkt.
"Morgen" beginnen wir dann mit dem Bau der neuen Linie, damit sie "übermorgen" fertig ist. Sobald die neue Linie fertig ist, sind gerade Personen, die nicht so gerne Fahrrad fahren, vom Auto unabhängiger geworden - ein Schritt in die richtige Richtung.
Nach und nach kann man nun auch die anderen Fahrradstraßen eröffnen und Dienstleistungen wie den Rikschatransport etablieren. Nach und nach werden die Autofahrer merken, wie sinnlos ihr Wagen geworden ist. Auch sie merken, wie sehr sie von der neuen Ruhe und Sicherheit auf den Fahrrad- und Fußgängerstraßen profitieren und wie leicht es geworden ist (auch durch eine erhöhte Frequenz von einer Straßenbahn alle vier Minuten zu den Stoßzeiten) mit dem öffentlichen Verkehr in die Stadt zu fahren.
Besonders die Jogger merken wie stark die Luftqualität gestiegen ist, seitdem der Autoverkehr minimiert wurde; Kinder erobern sich die Straße zum Spielen zurück; auf Bänken am Straßenrand, können sich Rentner endlich wieder unterhalten (oft genug habe ich mich über neu gebaute Sitzbänke an Hauptverkehrsstraßen geärgert, auf denen ich noch nie jemanden habe sitzen sehen); etc.

Natürlich ist mit dieser Umsetzung nicht plötzlich Friede, Freude, Eierkuchen. Mit Sicherheit geschieht aber ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn nicht alle sofort damit zufrieden sein werden. Man muss aber immer daran denken, dass das, was getan wird, für unsere Zukunft getan wird: für unsere Gesundheit und Sicherheit in der Gegenwart, für unser Wohl in der Zukunft und vor allem für unsere Kinder und für viele weitere Leben in dieser Welt.
Und selbst wenn wir es technologisch schaffen Autos mit emissionslosem Antrieb zu bauen, halte ich dieses Konzept für sinnvoll, denn es macht unsere direkte Umgebung lebenswerter und sicherer und macht Mobilität durch eine Vielzahl von Möglichkeiten auch in einem sozialen Sinne gerechter. Auf ein Fahrrad angewiesen sein, ist in einer solchen Welt weniger schlimm. Der öffentliche Verkehr wird vielleicht sogar günstiger, weil der Autoverkehr nun weniger Geld verschlingt. Denkbar wäre auch den öffentlichen Verkehr kostenlos zu machen und Verkehrssteuern dem Einkommen entsprechend zu erheben. Ich habe keine Zweifel, dass ein solches Konzept finanzierbar ist. Der Ausbau des ÖPNV wird mehr Geld kosten, aber nicht unbezahlbar sein, denn aus der Reduzierung des Autoverkehrs werden enorme Gelder frei. Zum Einen wird der Staat, bzw. die Stadt das Geld für den Erhalt der heutigen Autostraßen, die dann geschlossen werden, ganz einfach auf den ÖPNV und die Fahrradstraßen umlagern können. Zum Anderen werden den Bürgern finanzielle Reserven frei, da die meisten von ihnen kein Auto mehr haben werden.
Eine Variante der Fahrradstraße wäre es Busse auf einem eigenen Fahrstreifen verkehren zu lassen, um das Netz des öffentlichen Verkehrs noch dichter zu gestalten, wo es nötig ist (Busse sind günstiger als Straßenbahnen, wenn das Verkehrsaufkommen vergleichsweise gering ist).


Abb. 10: Das Idealschema der zukunftsfähigen Stadt (Quelle: Eigene Bearbeitung).

Das Grundschema der zukunftsfähigen, bzw. nachhaltigen Stadt habe ich in einer weiteren Karte dargestellt. Auch dieses ist idealisiert und in vielen Variationen denkbar (Abb. 10).
Das nähere Umland wird in dieser Stadt mit Straßenbahnen, das weitere Umfeld mit Regiotrams angebunden. Letztere verwenden dabei die gewöhnlichen Eisenbahnspuren und fahren von umliegenden Gemeinden übergangslos ins Stadtzentrum. Ein solches Konzept haben in Deutschland Karlsruhe und Kassel verwirklicht (Abb. 11-13).

Abb. 11-13: von oben nach unten: Die Kasseler Regiotram 1. im Bahnhof von Guntershausen (Umland), 2. im Kasseler Hauptbahnhof und 3. in der Kasseler Innenstadt, "Am Stern". Eine solche Fahrt dauert 26 Minuten. (Quelle: Eigene Bilder).

Im Konzept der nachhaltigen Stadt werden Straßenbahnen oder Regiotrams aber nicht nur für den Personenverkehr eingesetzt. Gütertrams können Container aufladen und beliefern Einkaufszentren in direkter Nähe zu den Straßenbahnlinien.
Straßenbahnen für den Personenverkehr haben großräumige Abteile, in denen man problemlos Fahrräder transportieren kann. Auch Einkaufswägen, die man nach dem Einkauf in die Straßenbahn und bis nach Hause mitnehmen kann, sind eine Möglichkeit.
Industrie- und Gewerbegürtel schließen sich um Zentrum und Wohngebiete und sind in Nähe von Straßenbahn oder Güterbahnhöfen gelegen.
Straßenbahnen halten auch in nicht bebauten Gebieten, die Freizeit und Erholung dienen. Bezüglich der Versorgung gibt es große inner- oder randstädtische Einkaufszentren (die aber immer mit Straßenbahn erreichbar sein müssen), sowie kleinere Läden in den jeweiligen Wohnvierteln.
Gerade Einkaufsmärkte müssen gesetzlich zum Energiesparen angeregt und gegebenfalls auch gezwungen werden. Es kann nicht angehen, dass die enormen Dachflächen nur aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nicht für Solaranlagen genutzt werden. Ein weiterer Punkt sind Fenster. Haben Sie sich schoneinmal gefragt, warum manche Großmärkte keine Fenster besitzen? Es heißt man vergesse mangels Tagesbeleuchtung die Zeit, was zum Kauf anregen würde. Man muss sich aber vorstellen welche Energiemassen verbraucht werden, um alle Bereiche des Ladens zu beleuchten - und das am hellichten Tage!
Generell müssen Solaranlagen auch für private Neubauten Pflicht werden. Dies ist wirklich nicht zuviel verlangt, zumal dies ja auch heute schon finanziell gefördert wird. Wenn man den Gesamtpreis eines Hauses bedenkt, macht eine Solaranlage (wenn schon nicht für Strom, dann zumindest für Warmwasser) genauso wenig aus, wie der Rußpartikelfilter am Neuwagen. Außerdem rechnet sich Solarthermie schon heute nach wenigen Jahren, da im Sommer praktisch keine zusätzlichen Gaskosten anfallen.

Ich hoffe, dass ich nicht nur ein Bild von meinem Konzept vermittelt habe, sondern vor allem auch verdeutlichen konnte, dass so etwas zumindest in ähnlicher Form tatsächlich durchsetzbar ist. Wie auch bei der Frage um die Nutzung von regenerativen Energien, kommt es vor allem auf den politischen Willen an.
Viele Autofahrer versuchen ihr Gewissen zu erleichtern, indem sie die Meinung vertreten, dass Autos in unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken sind. Sie warten auf den Durchbruch der Technologie, der uns endlich emissionslose Autos verschafft.
Sicher ist Forschung in diese Richtung sinnvoll, aber wann soll das sein? Es mangelt uns heutzutage nicht an umweltfreundlichen Technologien. Das Wissen, das man braucht, um Emissionen zu minimieren und unabhängig von fossilen Energien zu werden, ist alles vorhanden. Die politische Macht in diesem Staat und auf dem ganzen Planeten haben aber die Besitzer der heute wirtschaftlich wichtigsten Ressourcen: die fossilen Energieträger. Sie wollen solange sie noch können von "ihren" Ressourcen profitieren und sind deshalb nicht gewillt eine Umstellung vorzunehmen.
Doch ein Appell an die Öl- und Atomkraftlobbies wird nichts bewirken. Deshalb ein einfacher Appell an jeden: Fahrt Fahrrad, Bus und Bahn, lasst das Auto stehen! Ach was, verkauft es!

Steffen Hirth


Literatur:

Le Monde diplomatique (2007): Atlas der Globalisierung - spezial - Klima. Paris.

Online-Tipps:

Auto versus Fahrrad...
...die homepage von Erich Kimmich.

Zu heutigen Fahrradstraßen...
...in Berlin die taz.
...der ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club).

Zur Regiotram...
...in Kassel die offizielle Seite des NVVs.
...den Blog des Verkehrsclub Deutschland e.V.
...Wikipedia über den "Tram-Train", unter anderem auch die Stadtbahn Karlsruhe und ähnliche Umsetzungen in weiteren Städten.

...und dank Suchmaschine vieles mehr.

Anmerkung:

Die Urheber- und Vervielfältigungsrechte aller Grafiken und Fotos eigener Bearbeitung liegen beim Verfasser und dürfen nur mit dessen Erlaubnis weiterverwendet werden.

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