MARI

Monday, January 28, 2008

Entwicklungspolitik und die Theorie der fragmentierenden Entwicklung





von Steffen Hirth


Inhalt


1. Die Verantwortung und Herausforderung des Nordens
2. Die Theorie der fragmentierenden Entwicklung
3. Folgerungen
4. Literatur


Teil 1: Die Verantwortung und Herausforderung des Nordens

In seinem neuesten (und nach eigenen Angaben wohl leider auch letzten) Buch, stellt Prof. Dr. Fred Scholz, Gründer und Leiter des Zentrums für Entwicklungsländer-Forschung (ZELF) an der Freien Universität Berlin, unter Anwendung zahlreicher regionaler Beispiele, die Entwicklungspolitik in ihren Grundlagen dar. Neben den zentralen Anliegen der Armutsbekämpfung und der Grundbedürfnisbefriedigung, sieht Scholz die Aufgaben der Entwicklungspolitik heute zudem in der Sicherung von Nachhaltigkeit, Berücksichtigung globaler Umweltprobleme sowie Konflikt-/Terrorprävention und Friedenssicherung (Scholz 2006: 13).

Die Entwicklungsrealität des Südens stellt für den Norden also nach wie vor eine moralische, politische wie auch ökonomische Herausforderung dar. Auf moralischer Seite muss man die Besitzverhältnisse und die Zentrum-Peripherie-Problematik als koloniale Erblast ansehen. Doch auch die Dekolonisation hat keine Gleichstellung gebracht, zumal die Länder des Südens auch heute noch auf internationale Entwicklungshilfe angewiesen sind und externen ökonomischen Zwängen und Forderungen folgen müssen (z.B. terms of trade). Die politischen Herausforderungen, die mit den Ländern des Südens assoziiert werden, stehen in Verbindung mit Massenmigration, Terrorismus, Kriegen, bad governance und failing states. Die Märkte der Länder des Südens sind für den Norden auf der einen Seite Absatzmärkte, auf der anderen „Lieferanten von Rohstoffen, Nahrungsmitteln, Billigmassenwaren, Arbeitskräften und sogar menschlichen Organen“ (Scholz 2006: 19). Nicht zuletzt stellen die geradezu explosionsartig gewachsenen Städte in den Ländern des Südens, als Schnittpunkte zwischen Zentrum und Peripherie, eine Herausforderung dar (Scholz 2006: 20).

Untrennbar verknüpft mit dem Städtewachstum und Entwicklung im Allgemeinen, ist natürlich auch die globale Herausforderung des Klimawandels, die von Scholz an dieser Stelle allerdings nicht direkt angesprochen wird, mir aber dennoch erwähnenswert erscheint. Aus der Problematik um Entwicklung und Umwelt ergeben sich nämlich zwei bisher ungeklärte ethische Fragen: Wie soll man von den Entwicklungsländern verlangen (langfristig lebensrettende) Umweltstandards einzuhalten, wenn die Regierungen nicht einmal in der Lage sind (mehr oder weniger kurzfristig lebensrettende) Sozialstandards einzuhalten? Wie jedoch sollen die dazu finanziell wie technisch fähigen Länder des Nordens alleine den Klimawandel aufhalten (wenn man beispielsweise den extrem hohen Bevölkerungsdruck in den Ländern des Südens bedenkt)?

An den folgenden von Scholz aufgeführten Fallbeispielen werden die Vielfalt der Probleme in den Entwicklungsländern klar, sowie der Einfluss und die Teilhabe des Nordens daran. In der Entwicklungsrealität des Südens ist – so pessimistisch es auch klingt – nicht viel Raum für eine Beschäftigung mit dem Klimawandel.

Stichwort, Perspektivlosigkeit – Punjab, Indien. An dieser Stelle erlaube ich mir, einen größeren Textabschnitt direkt zu zitieren, da die Unentrinnbarkeit der Armut hier nicht besser hätte aufgezeigt werden können:

„Alle Familienmitglieder, selbst die kleinen Kinder, scharren – ein Werkzeug gibt es nicht – mit den Händen emsig in der Erde, einem Kartoffelfeld. Der Eigentümer des Feldes (…) hat die Ernte an einen Kontraktor verkauft, der das Kartoffellesen überwacht und die Säcke selbst füllt. Er stopft sie nicht nur voll, sondern türmt einen „Berg“ oben auf, den er mit einem Stofffetzen am Sack annäht. Dieses Überfüllen geschieht, um möglichst wenig Säcke zählen zu müssen; denn die Entlohnung der Kartoffelleser geschieht nach der Anzahl der gefüllten Säcke. Die Bezahlung, ein Hohn, besteht in den unreifen und kleinen Kartoffeln, die am Markt nicht abgesetzt werden können. Benötigen die Familien Geld, wenden sie sich meist an den lokal anwesenden Landlord (…). Da sie es ihm nur teilweise zurückzahlen können, bleiben sie ihm bzw. dem Kontraktor als billige Arbeitskräfte lebenslang verpflichtet. Das gilt auch für die Kinder, die diese Abhängigkeit geradezu erben.“ (Scholz 2006: 21)

Als Beispiel für Unregierbarkeit nennt Scholz Somalia, das im Zuge der Dekolonisation willkürlich aus einer britischen und einer italienischen Kolonie zu einem „Nationalstaat“ zusammengefügt wurde. In ähnlicher Weise ist dies auch mit vielen anderen afrikanischen Ländern geschehen und hat zu den zahlreichen religiösen, politischen und ethnischen Konflikten beigetragen, die den gesamten Kontinent plagen. Seit seiner Gründung 1960 leidet Somalia unter Konflikten und Spannungen zwischen verschiedenen clans, die unter Einsatz von Gewalt und Ausschaltung von Rechtsstaatlichkeit, der Bevölkerung unsägliches Leid zufügen. Dabei setzen sie Waffen ein, an deren Verkauf der Norden profitiert (Scholz 2006: 22-26).

In Brasilien stellt die Zerstörung und der Raubbau an der Natur, insbesondere der tropischen Regenwälder, ein Problem dar, das „in engem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Konsum- und Wohlstandsbedürfnissen sowie den Wirtschaftspraktiken des Nordens“ steht (Möbel aus Tropenholz; Anbau von Sojabohnen für den Futtermittelexport z.B. nach Europa, wo es im Rahmen von Massentierhaltung zur Fleischproduktion genutzt wird; Scholz 2006: 26-31).

Die obigen Beispiele zeigen, wie unmittelbar das Schicksal der Länder des Südens auch heute noch an den Norden gebunden ist: durch das Erbe des Kolonialismus und durch die transnationalen Unternehmen in Verbindung mit Waffenhandel und Rohstoffausbeutung. Angesichts dieser Fakten ist es für den Norden undenkbar sich aus der Verantwortung zu stehlen, wenngleich die Mitschuld des Nordens an der Armut des Südens nicht gerne direkt angesprochen wird. Wenn von Schuld oder Mitschuld die Rede ist, darf ein Blick auf die Akteure nicht ausbleiben, doch was verbirgt sich eigentlich hinter dieser schwammigen Verortung des „Südens“ und „Nordens“? Die Theorie der fragmentierenden Entwicklung von Scholz bietet einen etwas differenzierteren Einblick in die Welten von Armut und Reichtum.

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